Normative Dimensionen der Verallgemeinerung des Anpassungsbegriffs:
Philosophie, Dekolonisierung und Erziehung

Der Prozess weltweiter Durchsetzung des Evolutionsparadigmas seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ging einher mit einer Verallgemeinerung der von Darwin entwickelten Konzepte über die Biologie hinaus. Anpassung oder Assimilation erschienen bald nicht mehr nur als Vorgänge, in denen eine biologische Gattung wie der Mensch sich gegenüber der restlichen Natur und anderen Spezies zu behaupten sucht, sondern auch als Probleme, die interne Austauschbeziehungen zwischen Menschen betreffen: die Kontakte zwischen verschiedenen Kulturen ebenso wie das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Mit der Verallgemeinerung evolutionstheoretischen Vokabulars bekam dieses eine normative Dimension, die zum Gegenstand moralphilosophischer Auseinandersetzungen wurde: Ist Anpassung, da in evolutionären Notwendigkeiten begründet, ein Wert an sich, oder ist sie als sozio-kulturelles Phänomen normativ problematisier- und beeinflussbar? Welche Formen der Anpassung können begrüsst, welche müssen kritisiert werden?
Innerhalb des Gesamtprojekts macht das vorliegende Teilprojekt es sich zur Aufgabe, Anverwandlungsprozesse normativ zu reflektieren und Kriterien für deren Beurteilung zu entwickeln. Dabei werden normative mit sozialontologischen Fragestellungen verbunden: Welche Eigentümlichkeiten weisen Anverwandlungsvorgänge in der sozialen Welt auf? Bedeutet Anpassung passive Unterwerfung unter vorgegebene Normen, oder ist sie als aktive Übernahme und Ausgestaltung zu denken, in der das Vorgegebene nicht unverändert bleibt? Inwiefern werden in Prozessen der Imitation und Assimilation zu erhaltende Differenzen bedroht oder gar ausgelöscht? Sind Authentizitätsvorstellungen, wie sie in Situationen des Anpassungsdrucks entstehen, notwendigerweise „essentialistisch“? Diskutiert werden soll auch, ob und – wenn ja – wie sich das Nicht-Angepasste, das Eigene denken lässt, ohne in „substantialistische“ und damit prä-darwinianische Beschreibungen zurück zu fallen.
Das Teilprojekt knüpft dabei an die Kritik der Anpassung als Konformität an, wie sie in der westlichen Philosophie seit John Stuart Mill in vielfältigen Überlagerungen mit der älteren Entfremdungskritik entwickelt wurde. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der philosophischen Anpassungskritik stand bis in die jüngste Zeit hinein die Figur des europäischen (meist männlichen) Erwachsenen und die Frage, wie eine solche Person vermeintlich individualitätsblockierenden Handlungsvorgaben entkommen kann. Das Teilprojekt verfolgt das Ziel, diese Einengung der Problematik sowohl nach der Seite ihres regionalen Partikularismus wie auch hinsichtlich der Vernachlässigung von Sozialisationsprozessen aufzubrechen. Entsprechend sollen in zwei Arbeiten die normativen Implikationen des Anpassungsbegriffs untersucht werden anhand von:

  • Dekolonisierungsperspektiven der indischen politischen Theorie, in denen die Beziehung des Subkontinents zur westlichen Kultur und Moderne zur Debatte steht, sowie
  • der Entwicklung von Erziehungsvorstellungen in der Rezeption perfektionistischer Moralphilosophie.

Mitwirkende:
Prof. Dr. Michael Hampe
Dr. Urs Lindner
Dr. Urs Hofer

Dieses Projekt wurde vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert.

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