Feuerphilosophen – Alchemie als performative Metaphysik des Neuen

In der vorliegenden Arbeit geht es darum, anhand einer Fallstudie zum schöpferischen Moment in der Transmutationsalchemie, das heisst einer spezifischen Ausprägung der frühneuzeitlichen Alchemie, die philosophische Reflexion auf das Wesen des Neuen im Medium des Historischen zu öffnen. Der Blick auf das vermeintlich „Andere“ der Moderne, das sog. vormoderne Denken, bietet sich als methodologisches Korrektiv an, um die Frage nach dem Wesen des Neuen insbesondere vor dem Hintergrund heutiger Innovationsdiskurse- und politiken nicht vorschnell mit der Frage nach dem Wesen des technologischen Fortschritts kurzzuschliessen. Die Arbeit setzt sich dabei grundlegend von bisherigen Lesarten der Transmutationsalchemie ab und versteht diese weder als ein technologisches, spiritualistisches noch als ein protowissenschaftliches Unterfangen, dessen Ziel die Umwandlung von Metallen oder die Herstellung eines bestimmten Endproduktes wie Gold gewesen wäre. Die Transmutationsalchemie wird im Gegensatz zu diesen verbreiteten Deutungen als eine sich in der stofflichen Praxis vollziehende naturphilosophische Reflexion verstanden, als eine, wie ich es nennen möchte performative Metaphysik des Schöpferischen und Neuen. Der Stein der Weisen wird hierbei neu gelesen als ein emblematisches Signum für den Vollzug des Schöpferischen durch den Adepten. Der performative Aspekt der transmutationsalchemistischen Reflexion auf die natürliche Schöpfungskraft impliziert dabei eine grundlegend individualepistemische Dimension des Werkes, die sich einer modernen Vorstellung von objektivierbarem, symbolisch erfassbarem Wissen widersetzt. Die naturphilosophische Reflexion auf das schöpferische Moment realisiert sich in der Transmutationsalchemie, so die These, im performativen Vollzug des Schöpfungsprozesses durch jeden einzelnen Adepten und seinen Stoffen aufs Neue. Diese epistemische Individualität des transmutationsalchemistischen Werkes, so eine weitere These dieser Arbeit, äussert sich gerade auch in der erstaunlichen Vielfalt der Deutungen der Alchemie in der Rückschau der historischen Rezeption, die im ersten Teil der Arbeit unter dem Begriff der Metachrosis analysiert wird. Im zweiten Teil der Arbeit werden anhand einer dichten Lektüre des Rosarium Philosophorum, eines zentralen transmutationsalchemistischen Traktats von 1550, zentrale Dimensionen des Schöpferischen herausgearbeitet. Im letzten Teil der Arbeit werde ich die alchemistische Schöpfung als Kontrast- und Reflexionsfolie für heutige Innovationsdiskurse nehmen und abschliessend die Unterscheidung zwischen einer performativen und eine textzentrierten naturphilosophischen Reflexion des Schöpferischen in Anlehnung an die historischen Quellenbegriffe als Gegenüberstellung von „Feuerphilosophie“ und „Bücherphilosophie“ diskutieren.

Mitwirkende:
Dr. Sabine Baier
Prof. Dr. Michael Hampe

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