Begriffe und Praktiken der Darstellung in Philosophie, Chemie und Malerei um 1800

In Theater und Film sprechen wir ebenso selbstverständlich von ,Darstellern‘, wie in der Chemie die Formulierung verbreitet ist, einen Stoff ‚rein darzustellen‘. Diese Redeweisen haben auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun, genauer besehen handelt es sich jedoch beide Male darum, dass Sinn und Körper ineinander übergehen: Die Schauspieler/innen verkörpern die Charaktere des aufgeführten Stücks; der chemisch hergestellte Stoff ist selbst eine Probe des Elements oder der Verbindung, die dargestellt wird. Im Theater oder im Labor verweisen die Körper nicht wie Zeichen auf eine Bedeutung, mit denen sie wenig gemein haben, im jeweiligen praktischen Zusammenhang sind sie bis zu einem gewissen Grade das, was sie darstellen.

Diese Auffassung von Darstellung erlebte um 1800 eine breite Konjunktur, die bislang allenfalls in einzelnen Feldern untersucht wurde. Die Literaturwissenschaft hat ihn schon vor längerem als Zeichen einer „theoriegeschichtlichen Umwälzung“ (Menninghaus 1994, 205) gedeutet, sich dabei aber auf die Ästhetik des 18. Jahrhunderts beschränkt. In der Philosophiegeschichte wurde dagegen erst jüngst eine „darstellungsphilosophische Wende der Philosophie“ (Hoffmann 2010, 102) um 1800 festgestellt. Die Geschichte dieser Wende ist aber selbst für die Philosophie bislang lediglich in groben Umrissen entworfen, die systematische Bedeutung des Begriffs der Darstellung ist entsprechend kaum gewürdigt.

Das SNF-Forschungsprojekt „Begriffe und Praktiken der Darstellung in Philosophie, Chemie und Malerei um 1800“ wird die Entwicklung des philosophischen Begriffs der Darstellung als eines zentralen Begriffs von Kant bis zu Hegel untersuchen. Dieser Begriff wurde zwar kaum terminologisiert, erlaubte dadurch jedoch, produktive heuristische Verbindungen zwischen verschiedenen Wissensformen und -praktiken herzustellen. Die Philosophie bezieht sich unter dem Begriff der Darstellung auf wissenschaftliche wie künstlerische Praktiken und geht dabei nicht mehr wie in der Theorie der Repräsentation der Aufklärung von Vorstellungen des Bewusstseins aus, um ihre möglichst transparente Kommunikation durch Zeichen zu diskutieren. Vielmehr rückt sie die Vollzüge und Verfahren des Darstellens ins Zentrum, wobei sie deren Anschaulichkeit betont und zugleich ihre inhärente Reflexivität untersucht. Die Welt sollte nicht mehr bloß vorgestellt und bezeichnet, sie sollte dargestellt werden.

Die Verschiebung der Leitdisziplin von der Mathematik bei Kant zur Chemie und ihrer ‚Darstellung‘ von Stoffen bei Hegel geht zudem mit der Betonung der irreduziblen Äußerlichkeit und materiellen Realisierung des Darstellens einher. In der Ästhetik findet sich eine ähnliche Betonung im verstärkten Interesse an der Malerei und der Farbe. Der philosophische Begriff der Darstellung lebt so wesentlich vom regen Austausch der Philosophie um 1800 mit anderen Wissensfeldern, weshalb das geplante Projekt ihn im Zusammenhang mit zeitgenössischen Praktiken des Darstellens in Chemie und Malerei betrachten wird. Eine interdiszplinäre Philosophiegeschichtsschreibung ist bei allen philosophischen Themen von Vorteil, hier fällt ihre Dringlichkeit jedoch unmittelbar ins Auge.

Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Darstellung um 1800 zu schreiben, heißt schließlich, zugleich einen systematischen Beitrag zu heutigen Debatten über wissenschaftliche und künstlerische Praktiken der Repräsentation zu leisten. Neuere Ansätze aus Philosophie, Ästhetik und Wissenschaftsforschung fassen Repräsentation häufig als Praxis und nehmen konkrete Prozesse und Artefakte in den Blick. Sie gehen damit von einer ähnlichen Problemlage aus wie der Begriff der Darstellung um 1800 und bedienen sich mitunter auch dessen Semantik. Jedoch ist die historische Tiefendimension des Begriffs meist ebenso unbekannt wie seine systematische Differenziertheit um 1800. Die historischen Erkenntnisse des Projekts sollen daher in aktuelle Debatten zur Repräsentation eingebracht werden.

Literatur:

  • Brady Bowman, (Hg.), Darstellung und Erkenntnis. Beiträge zur Rolle nichtpropositionaler Erkenntnisformen in der deutschen Philosophie und Literatur nach Kant, Paderborn 2007.
  • Thomas Sören Hoffmann, „Darstellung des Begriffs“. Zu einem Grundmotiv neueren Philosophierens im Ausgang von Kant, in: Kant als Bezugspunkt philosophischen Denkens. Festschrift für Peter Baumanns zum 75. Geburtstag, hg. von Hubertus Busche und Anton Schmitt, Würzburg 2010, 101-116.
  • Winfried Menninghaus, „Darstellung“. Friedrich Gottlieb Klopstocks Eröffnung eines neuen Paradigmas, in: Christiaan L. Hart Nibbrig (Hg.), Was heißt „Darstellen“? Frankfurt a. M. 1994, 205-226.
  • Hans-Jörg Rheinberger, Räume der Darstellung, Kapitel aus ders., Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Frankfurt a. M. 2006, 126-140.
  • Arno Schubbach, Von den Gründen des Triangels bei Kant, in: Gottfried Boehm und Matteo Burioni (Hrsg.), Der Grund. Das Feld des Sichtbaren. München 2012, 361-386.
  • Arno Schubbach, Kants Konzeption der geometrischen Darstellung. Zum mathematischen Gebrauch der Anschauung, erscheint 2016/17 in den Kant-Studien.

externe SeiteDieses Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert.

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